Achim Lott: Rede zu Fukushima & Energiealternativen

Ansprache von Achim Lott, Endingen,
Sasbach am 25.4.2011

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
mein Name ist Achim Lott, ich wohne in Endingen und bin Elektroingenieur von
Beruf. Ehrenamtlich bin ich seit 10 Jahren als Vorsitzender des Ev.
Kirchengemeinderates tätig.

Chèrs Amis français,
Permettez moi, que je dit quelque mots sur ma personne au début.
Je m’appelle Achim Lott, je habite a Endingen et de mon metier je suis
ingénieur électicien. A base bénévole je dirige le conseil de l’eglise
protestantique a Endingen depuis dix ans.
Pardonnezmoi, si je tenirais mon discours en allemand. Mais j’espere qu’il y a
assez des amis français, qui comprendent l’allemand.

Als erstes möchte ich über den deutschen Atomausstieg und das Schreckgespenst der Stromimporte
sprechen:

Seit Fukushima redet die deutsche Regierung nicht mehr gerne von der
selbstbeschlossenen Laufzeitverängerung sondern dem beschleunigten
Atomausstieg. Plötzlich kann es ihnen nicht mehr schnell genug gehen. Nach
dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz nun der beschleunigte Atomaussstieg.
Hätte sie die Gesetze und Verträge der rotgrünen Vorgängerregierung
respektiert, wäre dieser Regierung die doppelte Wende erspart und die
Glaubwürdigkeit erhalten geblieben – aber vielleicht musste dies alles so
kommen, sonst würde BadenWürttemberg wohl immer noch von einem
undurchsichtigen Netzwerk aus Politik und Wirtschaft regiert werden.
Letztes Beispiel:
der Einstieg der Landesregierung bei der EnBW voll am Parlament
vorbei. Wer demokratische Grundrechte wie das Haushaltsrecht des Landtags
mit Füßen tritt wie es der Atomhardliner Mappus getan hat braucht sich nicht
zu wundern, wenn er kurz darauf ganz demokratisch die Macht verliert.
Aber schauen wir nun über den baden-württembergischen Tellerrand hinaus,
besonders heute, wo wir uns hier mit unseren Freunden aus dem Elsass treffen.

Was passiert, wenn alle deutschen Atomkraftwerke dauerhaft vom Netz gehen ?
Muss dann Atomstrom aus Frankreich und Tschechien importiert werden, wie
viele befürchten?
Noch heute erzählen viele Stammtischbrüder, dass Deutschland Atomstrom
aus dem Ausland importieren müsse. Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik
und des französischen Netzbetreibers RTE (Réseau de transport d’ électricité)
sprechen eine ganz andere Sprache:
Seit 2003, als das erste deutsche Atomkraftwerk nach dem vereinbarten
Atomausstieg vom Netz ging und die Stromerzeugung aus Wind und Biomasse
immer mehr zunahm, exportiert Deutschland von Jahr zu Jahr mehr Strom ins
Ausland als es importiert - im letzten Jahr waren es über 17 Mrd. KWh.
Allein Frankreich bezog netto fast 7 Mrd. KWh aus Deutschland.
Aber während der Stromverbrauch in den letzten 20 Jahren in Frankreich um fast 50%
gestiegen ist, betrug der Anstieg im selben Zeitraum in Deutschland weniger als 10%.
Auch die maximal angeforderte Spitzenleistung lässt sich in Deutschland nachweislich ohne
Atomenergie sicherstellen, wie der Sachverständigenrat der Bundesregierung zeigte.

Tschechien erzeugt Strom fast ausschließlich aus Kohle und Atomkraft. 40%
davon gehen in den Export – das ist weltweit einmalig. Kein Wunder, dass
tschechischer Strom zu Schleuderpreisen ins deutsche Netz gedrückt wird,
wenn AKWs betrieben werden, die kein Mensch braucht. Hier sind wir als
Europäer gefragt, diesen Unsinn zu beenden.
Stattdessen brauchen wir verteilte regenerative Kraftwerke, die dort, wo viel
Energie verbraucht wird, auch entsprechend viel bereit stellen. Dann lassen
sich spekulative Importe und Exporte reduzieren. Aber solange sich Länder wie
BadenWürttemberg und Bayern weigern, angemessene Vorrangflächen für die
Windenergie auszuweisen, braucht man uns nicht zu erzählen, dass man
Regenerativstrom für den Großraum München 30 Km vor der Nordseeküste
erzeugen muss, um ihn dann über 800 Km Leitungen auf den Weg zu schicken.
Nun fragen sich viele: Die Stromkonzerne machen doch eh ihre Geschäfte, wie
sie wollen. Wie kann ich denn da was dran ändern ? – ganz einfach: Postkarte an
einen Regenerativstromanbieter ausfüllen, unterschreiben und ab damit in die
Post.
Je mehr Regenerativstrom wir nachfragen, umso weniger Atomstrom kann ins
Netz gedrückt werden. Dann hören auch die tschechischen Stromexporte nach
Bayern auf.

Wieviele Tschernobyls und Fukushimas will sich die Welt eigentlich noch
leisten?

Muss erst Fessenheim hochgehen, bevor die breite Masse endlich
erwacht? Woher weiß ein Erdbeben im Rheingraben, dass es nicht stärker sein
darf als das große Basler Beben von 1356? Hat das die EdF der Erde
irgendwann mal mitgeteilt? Hier werde ich bewusst irrational – denn manche
Dinge kann man einfach nicht mehr begreifen.
Große Firmen in der Region Freiburg und im Elsass überlegen bereits, ob
Fessenheim ein Standortnachteil für sie ist. Ein schwerer Atomunfall und die
Wirtschaftskraft der dann unbewohnbaren Oberrheinregion wäre weg.
Folgerichtig fragen sich diese Firmen, ob sie bei einer Laufzeitverlängerung von
Fessenheim die Produktion zumindest teilweise an andere Standorte auslagern
werden oder ob es nicht besser ist, Fessenheim abzuschalten.
Wir alle sehen die Folgen einer Technologie, die von Physikern und Statistikern
schön und sicher gerechnet, aber nicht beherrscht wird. Die reale Welt ist nun
mal kein mathematisches Gleichungssystem. Sonst würden Versicherungen
Atomkraftwerke auch gerne versichern. Aber gerade die nüchternen
Versicherungsmathematiker kommen zu dem Schluß, dass die
Wahrscheinlichkeit und die Schadenshöhe eines schweren Atomunfalls viel zu
hoch sind, als dass man dieses Risiko versichern könnte.
Also trägt es per Gesetz die Allgemeinheit und die Atomkonzerne stecken die
Kohle ein.
Vieles wurde schon über die Endlagerung von Atommüll gesagt, aber lassen Sie
uns nun an die Quelle des Atomstroms, der Urangewinnung schauen:
(Die Urangewinnung und ihre Folgen für Mensch und Umwelt (Arlit, Wismut
AG))

Fragen Sie doch einfach mal ein paar Leute aus ihrem Bekanntenkreis, ob sie
wissen, wo das Uran für den „ach so sauberen Atomstrom herkommt“. Sie
werden größtenteils in ratlose Gesichter blicken.
Seit ca. vierzig Jahren baut der französische Atomkonzern COGEMAAreva
im Norden des Sahelstaates Niger, in der Region von Arlit, Uran ab. Niger ist nach
Kanada der zweitgrößte Uranexporteur weltweit aber nach UNO-Angaben
zugleich das ärmste Land der Erde. 2,5 Millionen Menschen sind dort vom
Hunger bedroht.

Die Umweltschutzorganisation „Future on Wings“ beschreibt die Zustände in
Alrit so:

„Rund 80.000 Menschen leben heute in Arlit, das seine „Blütezeit“ im
Uranboom der 1960er und 1970er Jahre längst hinter sich hat. Ungefähr 3.000
Menschen arbeiten hier im Uranabbau und der Uranverarbeitung. Hier haben
90 Prozent der Menschen kein Licht und keinen Strom. Zwei Drittel der
Menschen können nicht lesen und schreiben, weil Schulbildung im Niger Geld
kostet …
Zu welchen sozialen Kosten geschieht die Uranförderung?
In einem mitten in der Sahara klaffenden 80 Meter tiefen Loch lagert Uran. Um
1 Kilogramm Uran zu gewinnen, müssen die Minenarbeiter Hunderte Tonnen
Geröll abtragen. Seit dem Beginn der Uranausbeutung in Niger, hinterließ
beispielsweise AREVA beim Abbau von rund 100.000 Tonnen Uran 46 Millionen
Tonnen Abraum unter freiem Himmel. Dieses Gestein enthält noch bis zu 80
Prozent der ursprünglichen Radioaktivität …
Das Trinkwasser ist verseucht, strahlender Staub weht über die Wüste und die
Menschen werden krank. An öffentlichen Wasserstellen liegen die
Radioaktivitätsmesswerte zwischen dem 7- bis
110-fachen über dem, was die WHO als „zulässig“ erachtet …
In den beiden Krankenhäusern, die AREVA dort eingerichtet hat, seien Fälle von
Lungenkrebs und Leukämie im letzten Stadium nicht diagnostiziert worden. Dies
sei erst in anderen Krankenhäusern geschehen (Agadez, Niamey). Wie ein
Krankenhausmitarbeiter sagte, seien die Ärzte in den beiden Krankenhäusern
gehalten, „alle Krankheiten, die mit der Uranproduktion zu tun haben könnten,
insbesondere alle des Atmungsapparats, zu kaschieren".

Soweit die Ausführungen von „Future on Wings“.

Wer kann es verantworten, dass zwei Drittel der Bevölkerung in der
ehemaligen französichen Kolonie Niger hungern muss, damit 60% aller
französischen Haushalte im Winter mit Atomstrom geheizt werden können?
Übrigens: Wenn die EdF die Atomstromgewinne von 5 Tagen im Jahr nach
Niger überweisen würde, bräuchte dort niemand mehr zu hungern.

Aber auch in Deutschland, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR forderte der
Uranabbau der deutschsowietischen Wismut AG seine Opfer: 5275 Fälle von
Lungenkrebs, hervorgerufen durch ionisierende Strahlung wurden dort in der
Zeit von 1952 bis 1990 als Berufskrankeit der ehemaligen Bergleute anerkannt.
Die wenigsten davon haben ihre Krankeit überlebt.
Wer mehr darüber erfahren möchte, dem seien zwei Filme empfohlen:
Der französichbeninische Dokumentarfilm „Arlit – deuxième Paris“ von Idrissou MoraKpai aus dem Jahr 2005 sowie der deutsche Dokumentarfilm „Yellow Cake – Die Lüge von der sauberen Energie“ von Joachim Tschirner aus dem Jahr 2010..

I have a dream - Wie ein regenerativ versorgtes Europa aussehen kann
Wie kann ein regenerativ versorgtes Europa aussehen?
Immer mehr Studien renomierter Institute wie z.B. der Fraunhofergesellschaft
kommen zu dem Schluss, dass eine atomstromfreie Versorgung Deutschlands
schon lange vor 2022 möglich ist. In Ihrem Forschungsprojekt „Kombikraftwerk2“ testen die Wissenschaftler und Ingenieure die Netzstabilität
bei einer Stromversorgung aus 100% erneuerbaren Energien.
Warum sollen sich die Erkenntnisse, die hierbei gewonnen werden, nicht auch auf europäischer Ebene nutzen lassen?
Sicherlich – jedes Land in der EU hat seine energetischen Besonderheiten. Aber wenn wir uns von der Idee leiten
lassen, möglichst die Energie dort bereitzustellen, wo sie benötigt wird und möglichst dann zu nutzen, wenn sie im Überfluss bereitsteht, dann steht einer regenerativen Vollversorgung in Europa bis 2050 nichts mehr im Weg.
Intelligente Stromnetze, sogenannte SmartGrids, werden dabei helfen, Lastspitzen zu vermeiden und die vorhandenen Stromnetze besser zu nutzen.
Überschüssige Energie kann verstärkt in Pumpspeicherkraftwerken und Akkus, eines Tages sogar von Elektromobilen aufgenommen und bei Bedarf wieder abgegeben werden, was bereits in mehreren EUPilotprojekten in Südhessen, Österreich (Salzburg) und der Schweiz (Aargau) geprüft wird. Selbst die EnBW propagierte in ihrer letzten Kundenzeitschrift Pumpspeicher und Redoxzellen als wirtschaftlich sinnvolle Speichermöglichkeiten. Durch die Speicherung und Einspeisung von Biogas in bestehende Erdgasnetze, könnte in Zukunft genug Regelenergie aus Gasturbinen bereitgestellt werden, aber leider hat die deutsche Bundesregierung diese Energieform in ihrem aktuellen „6-Punkte-Programm für eine beschleunigte Energiewende“ glatt vergessen.

Im Rahmen des NORGERProjektes ist geplant, die norwegische Wasserkraft, die dort 90% der Stromerzeugung ausmacht, mit den Offshore-Windanlagen in der Nordsee zu verbinden.
Dadurch wird zum einen der Offshore-Windstrom aus der Nordsee für Norwegen nutzbar. Bei einer Flaute speisen die
norwegischen Speicherkraftwerke dann das Netz und machen somit die Windkraft grundlastsicher.
Am Ende meiner Rede möchte ich an die Kraft der Vision eines großen Mannes erinnern.
Martin Luther King sprach in seiner berühmten Rede zum Marsch auf Washington (28.August 1963) vor 250.000 Menschen von seinem Traum eines
neuen Amerikas – heute möchte ich einen Traum von einem neuen Europa beschreiben:


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit – Je vous remerçie beaucoup pour votre
attention.

Achim Lott, Endingen, (achim.lotttonline.de)


Quellen:
Zum Atomausstieg und Stromimporten:
http://de.wikipedia.org/wiki/Atomausstieg
http://www.udo-leuschner.de/energie-chronik/chframe.htm
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,750752,00.html
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,750752,00.html

Zur Urangewinnung und ihren Folgen
http://www.nachrichten.net/details/2733/Niger_wird_weltgr%C3%B6%C3%9Fter_Lieferant_f%C3%BCr_Uran.html

Zu I have a Dream:
http://www.kombikraftwerk.de


Biogas – glatt vergessen im 6PunkteProgramm für eine beschleunigte Energiewende:
http://www.unendlichvielenergie.de/de/detailansicht/article/4/energiewendeohnebiogas.html

NorGer: Wasserkraft aus norwegischen Speicherkraftwerken
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/umwelt/1423757/
http://de.wikipedia.org/wiki/Erneuerbare_Energie#Europ.C3.A4ische_Union

Smart Grids:
http://ec.europa.eu/energy/gas_electricity/smartgrids/smartgrids_en.htm

Sonstige Infos:
Wie viele Tschernobyls will sich die Welt leisten?":
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,758220,00.html
Erneuerbare Energien hatten in der EU 2008 einen Anteil von 16,7 Prozent an der Stromerzeugung; der Anteil der Kernenergie lag bei 27,6 Prozent. (2010: 16,9 / 23,3%)
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2011/04/PD11__144__433,templateId=renderPrint.psml

Europäische Woche für nachhaltige Energie 11.15.4.2011
http://ec.europa.eu/news/energy/110411_de.htm

All diese Anstrengungen werden zur Realisierung der Ziele beitragen, die sich die Europäische Union bis 2020 gesetzt hat: die Verringerung ihrer Treibhausgasemissionen um 20 %, die Deckung ihres Energiebedarfs zu 20 % aus erneuerbaren Energieträgern und die Verringerung ihres Energieverbrauchs um 20 %.
EU: Clevere Energienutzung in Sicht:
http://ec.europa.eu/news/energy/110309_1_de.htm

Ökostrom wird von den Bürgern getragen: Greenpeace wirft Stromriesen Blockade vor
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,757923,00.html