Bauplatzbesetzung gegen das Bleichenmiewerk CWM in Marckolsheim 1974 -1975 im Elsass


Bauplatzbesetzung gegen das Bleichenmiewerk CWM in Marckolsheim vor 45 Jahren 1974 -1975 im Elsass



Luftreinhaltung & Klimaschutz: Von den frühen Kämpfen zu Fridays for Future


Am 20. September 1974 wurde der Bauplatz eines geplanten, extrem luftverschmutzenden Bleiwerks im elsässischen Marckolsheim von Umweltschützern beidseits des Rheins besetzt. Am 20.September 2019, also genau 45 Jahre später, demonstrierten Millionen Menschen mit "Fridays for Future" gegen den Klimawandel.


Dieser Artikel wird nicht mehr aktualisiert. Hier auf mitwelt.org allerdings wird er umfangreich und detailliert fortgeschrieben.



























































Aktuelles vorab: Kurze Geschichte der Kämpfe um Luftreinhaltung und Klimaschutz


Am 20. September 2019 organisiert die Jugendumweltbewegung "Fridays for Future" einen globalen Streiktag gegen die Klimakatastrophe und am gleichen Tag vor 45 Jahren begann mit der Bauplatzbesetzung gegen ein extrem luftverschmutzendes Bleichemiewerk im elsässischen Marckolsheim der erfolgreiche Kampf um saubere Luft.

Vom erfolgreichen Streit gegen die Luftverschmutzung, über den Kampf gegen das Waldsterben zu Fridays for Future...




Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer und ehemaliger Marckolsheimer Bauplatzbesetzer


Eine Information zur Bauplatzbesetzung 1974/75 in Marckolsheim


Marckolsheim ist ein kleines französisches Dorf am Oberrhein, direkt am Rhein, an der Grenze zu Deutschland. In Marckolsheim wurde in den Jahren Jahre 1974 -1975 ein wichtiges Kapitel der Umweltgeschichte geschrieben. Trinational-gemeinsam und erfolgreich besetzten Menschen aus Frankreich, aus Deutschland und der Schweiz das Gelände eines geplanten, extrem umweltbelastenden Bleichemiewerks. Dieser Konflikt stand am Beginn vieler Kämpfe für saubere Luft und sauberes Wasser und läutete das Ende der "klassischen" Umweltvergiftung der Nachkriegszeit in Mitteleuropa ein. Aus den wichtigen Impulsen der Bücher "Silent Spring" der Biologin Rachel Carson (1962) und dem Bericht des Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" (1972) wurde konkretes Handeln, wurde im Sinne des Wortes "Bürger-Initiative". Der Konflikt um das Bleiwerk stand am Anfang vieler anderer Besetzungen in Wyhl, Gerstheim, Kaiseraugst, Heiteren, Gorleben, Wackersdorf, Buggingen und zuletzt im Hambacher Forst. Der Streit stand am Anfang der großen Kämpfe um Luftreinhaltung und Klimawandel.


Den Hintergrund des Umweltkonflikts
aus dem Spätsommer und Winter 1974/75 würde man heute als klassisches Beispiel der Globalisierung deuten. Ein deutscher Konzern, die CWM (Chemische Werke München), machte sich die Grenzlage zunutze und wollte in Frankreich, direkt an der Grenze, ein Bleichemiewerk für die Herstellung von 800 Tonnen Bleioxid pro Monat bauen. Von giftigen Abgasen und Bleistaub wäre die Bevölkerung auf beiden Rheinseiten betroffen gewesen. Auch damals gab es massive Versuche, die Menschen grenzüberschreitend gegeneinander auszuspielen.

Die Baupläne wurden 1973 bekannt,
in einer politisch brisanten Zeit am Oberrhein. Vorangegangen waren der umstrittene Baubeginn des französischen AKW Fessenheim und erste massive Bürgerproteste gegen die Pläne des Badenwerks (heute EnBW), erst in Breisach und später in Wyhl ein Atomkraftwerk zu bauen.


Marckolsheim / Elsass: Sasbacher Frauen unterstützen den Widerstand

Am 20. September 1974 wurde der Bauplatz in Marckolsheim von Umweltschützern beidseits des Rheins besetzt.


Gründe, gegen die Bleifabrik anzugehen, gab es viele. Viele Tonnen Blei hätte die Fabrik jährlich über den Schornstein abgegeben, und das in einer Weinbauregion. Aus heutiger Sicht war das Bleiwerk ein gutes Beispiel für die damals übliche "gute, alte, offene & ehrliche" Umweltvergiftung. Auf den Wiesen vor einem ähnlichen Werk in Norddeutschland starben ab und zu die Kühe an Bleivergiftung...


Gegen Bleichemie und Atomindustrie
schlossen sich im August 1974 deutsche und französische Umweltschützer zusammen und gründeten das „Internationale Komitee der 21 badisch-elsässischen Bürgerinitiativen“. Einen Zusammenschluss dieser Art hatte es nach den Wunden des ersten und zweiten Weltkriegs bisher nicht gegeben. Erstaunliches tat sich vor 45 Jahren und fast 30 Jahre nach Kriegsende in der ländlichen Region beiderseits des Rheins: Über 3000 Menschen aus beiden Ländern kamen beim Sternmarsch zum geplanten Standort in Wyhl zusammen, über 4000 Menschen beim Demonstrationszug unter Glockengeläute gegen das Bleichemiewerk in Marckolsheim.

Weil wir nicht dulden, dass unser Recht derart missachtet wird.
Deshalb haben wir beschlossen, die vorgesehenen Bauplätze für das Atomkraftwerk Wyhl und das Bleiwerk in Marckolsheim gemeinsam zu besetzen, sobald dort mit dem Bau begonnen wird. Wir sind entschlossen, der Gewalt, die uns mit diesen Unternehmen angetan wird, solange passiven Widerstand entgegen­zusetzen, bis die Regierungen zur Vernunft kommen.


Auszug aus der Erklärung der 21 Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung



Freundschaftshaus auf dem besetzten Gelände in Marckolsheim


Dennoch begannen Mitte September die bauvorbereitenden Maßnahmen
in Marckolsheim am Rhein. Am 20. September 1974 wurde der Bauplatz in Marckolsheim von Umweltschützern aus Baden und dem Elsass besetzt und nach indianischem Vorbild ein hölzernes Rundhaus, das erste „Freundschaftshaus“ am Rhein, errichtet. Bauplatzbesetzungen in Wyhl (D), Kaiseraugst (CH), Gerstheim (F) und Heiteren (F) sollten folgen und auch die badischen Ackerbesetzer in Sachen Genmais Buggingen beriefen sich zwei Jahrzehnte später noch auf die Marckolsheimer Erfahrungen.

Bauplatzbesetzung, das schreibt sich mit 45 Jahren Abstand so einfach. Doch dieser frühe Kampf für Luftreinhaltung,für Mensch, Natur und Umwelt, die Bauplatzbesetzung in Marckolsheim, das war zuallererst Matsch, Schnee, knöcheltiefer Schlamm in einem nassen, kalten Winter. Das war der Rücktritt des Marckolsheimer Gemeinderats und eine besetzte Pontonbrücke über den Rhein nach Sasbach. Das waren Elsässer, Badener und Schweizer, badisch, elsässisch, hochdeutsch und französisch sprechende Menschen und Sprachprobleme zwischen Deutschen, Franzosen und Dialektsprechern. Das war ein Aufblühen der alemannischen Regionalkultur, gleichzeitig eine Blüte und ein Schwanengesang des elsässischen Dialekts. Das waren Frauen und Männer, Winzer und Freaks, Kaiserstühler und K-Gruppen, Junge und Alte, Linke und Wertkonservative, mancherlei Gesichter, Reden, Streit, Liebesbeziehungen, Gespräche und Lieder am Lagerfeuer, Regen, Schlamm, Kälte, Demos, Brückenbesetzungen, Flugblätter, Liederbücher und Plakate und beginnender Wyhl-Protest. Die Vergangenheitsverklärung bricht Ecken und Kanten der Erinnerung.



Kundgebung gegen das Bleichemiewerk der CWM in Marckolsheim


In diesen ersten ökologischen Kämpfen am Oberrhein
liegen wichtige Wurzeln der Umweltbewegung und der Konflikte um Luftreinhaltung, die jetzt im Kampf gegen den Klimawandel ihre Fortsetzung finden. Hier wurden aus konservativen Naturschutzverbänden politische Umweltorganisationen und der Wachstumsglaube der 60er Jahre bekam erste Risse.




Und nicht zuletzt liegt eine der vielen Wurzeln Europas
und der deutsch-französischen Aussöhnung in Marckolsheim. Hier wurde der Traum vom grenzenlosen Europa geträumt, ausgedrückt im Lied von François Brumbt: "Mir keije mol d Gränze über de Hüfe und danze drum erum". Und was mensch gegen Luftverschmutzung, Klimaveränderung und die Auswüchse der Globalisierung tun kann, haben die Aktionen vor 40 Jahren auch gezeigt.

"Ende September 1974, während der Platzbesetzung gegen ein deutsches Bleichemiewerk im elsässischen Marckolsheim, hat der französische Schullehrer Jean Gilg ein Transparent in den Schlamm gepflanzt: "Deutsche und Franzosen gemeinsam: Die Wacht am Rhein“. D.h. er hat ganz bewusst den Titel der informellen deutschen Nationalhymne aus dem ersten Weltkrieg aufgegriffen und mit einer vollkommen neuen, entgegengesetzten Bedeutung versehen: Deutsche und Franzosen machen sich nicht mehr kriegerisch den Besitz des Rheinstroms streitig, sondern schließen sich zusammen, um die gemeinsame Region am Oberrhein gegen die neuartigen, grenzüberschreitenden Gefahren wie Radioaktivität und die Emissionen der Chemie-Industrie zu schützen – eine in der Tat "Andere Wacht am Rhein“. Vom ersten Tag an hat sich die oberrheinische Umweltbewegung der 70er Jahre als die historische Antwort auf das Menschheits-Verbrechen des ersten Weltkriegs verstanden." Zitat: Walter Mossmann


Am 25. Februar 1975 kam dann der Erfolg.
Die französische Regierung untersagt der deutschen Firma CWM offiziell die Errichtung der Bleifabrik in Marckolsheim und mit dem Wissen, dass illegale Bauplatzbesetzungen auch zu Erfolgen führen können, wendet sich der Protest gegen das wenige Kilometer entfernte AKW-Bauprojekt im Wyhler Wald. Doch das ist eine andere Geschichte...

Was bleibt, ist ein Erfolg
und die Sensibilisierung für die Themen Luftreinhaltung und Umwelt. Ein Erfolg für Mensch und Umwelt, denen jährlich viele Tonnen Blei erspart geblieben sind. Erstaunlicherweise sogar ein nachträglicher Erfolg für die Firma CWM, denn die Fabrik sollte Stabilisatoren für PVC und andere Kunststoffe herstellen, Produkte, die heute für PVC nicht mehr gebraucht werden. Wie so häufig, hatte die Umweltbewegung auch einen ökonomischen Flop verhindert.

Die Bauplatzbesetzung in Marckolsheim und ein Jahr später in Wyhl,
die folgenden ökologischen Kämpfe um saubere Luft (Waldsterben), sauberes Wasser, gegen die "autogerechten Innenstädte" und für nachhaltige zukunftsfähige Energiequellen brachten nach und nach das Ende der "guten, alten, offen sichtbaren" Umweltverschmutzung. Die Umweltbewegung hat in den letzten 45 Jahren ungeheuer viel erreicht für Mensch, Natur und Umwelt.

Heute erleben wir
mit Klimawandel und der absehbaren Endlichkeit der Energie- und Rohstoffvorräte, mit wachsenden Kriegs- und Krisengefahren die globale Endphase des falschen Versprechens vom "Unbegrenzten Wachstum" und es geht eher um die Fragen wie globale Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit erreicht werden können.

Der Natur- und Umweltschutz arbeitet "45 Jahre danach" wieder liebevoll am kleinen Detail, die Genlobby, Chemiekonzerne & Umweltzerstörer arbeiten immer noch am großen Ganzen. Wenn wir uns jetzt nicht wehren, werden wir mit TTIP, dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA, den ökologischen, demokratischen & sozialen Fortschritt der letzten Jahrzehnte verspielen.

Einen Unterschied zur Zeit vor 45 Jahren ist deutlich: Damals wurden Umweltvergifter noch Umweltvergifter genannt.

Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer, Kreisrat & Vizepräsident im Trinationalen Atomschutzverband
(1974 fuhr ich mit Babs & Vespa, als Neunzehnjähriger erstmals zu einer Demo nach Marckolsheim. Aus einem Demonstranten wurde ein Bauplatzbesetzer und Umweltschützer...)



Wichtiger aktueller Nachtrag:
Mit dem Kampf gegen das Bleichemiewerk in Marckolsheim begann das Ende der "guten, alten, offenen, ehrlichen Umweltvergiftung" steht zu Recht im oberen Text. Doch diese Aussage bezieht sich leider nur auf Kerneuropa. In Marckolsheim hätte das Bleiwerk zu einer massiven und gesundheitsschädigenden Bleibelastung geführt. Das konnte abgewehrt werden. Doch wie sieht es heute, vierzig Jahre später, an anderen Orten der Welt aus?
In den peruanischen Anden wird Blei abgebaut. Dort gibt es einen der zehn am meist verschmutzten und vergifteten Orte der Welt. 99 Prozent der Kinder leiden an Bleivergiftung. „Der Großkonzern Renco hat dies zu einem großen Teil zu verantworten.“, berichtet 3sat „Die peruanische Regierung forderte Renco zwei Mal auf, den gesetzlichen Auflagen nachzukommen und bestimmte Stellen zu dekontaminieren. Eine neue Schwefelsäurefabrik sollte die alte ersetzen. Renco unternahm aber nichts, sondern nutzte stattdessen das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Peru. Darin enthalten: Eine Klausel für "Investorenschutz.“ Umweltschutz und Schutz der Kinder gefährdet die Profite des Konzerns und der Umweltvergifter Renco fordert jetzt vor einem Schiedsgericht 800 Millionen Dollar Schadensersatz von Peru.
Es gibt gute Gründe, den Erfolg von Marckolsheim und die vielen folgenden Erfolge der Umweltbewegung zu feiern. Doch heute müssen wir uns gegen TTIP, Investorenschutz und Konzerngerichtsbarkeit wehren und die Kämpfe gegen Gift und Konzernmacht in den weit entfernten peruanischen Anden sind auch unsere Kämpfe.
Axel Mayer




MARCKELSE

en Marckelse hets aangfange
Marckelse lejt am Rhin

en Marckelse han mer s guldene kalb gstoche
en Marckelse han mer d demokratie entdeckt
en Marckelse han mer d granze gsprangt
en Marckolse sen mer majorann worre

en Marckolse hets aangfange
Marckelse em Elsass

(André Weckmann)


Die Fotos können bei Quellenangabe "Meinrad Schwörer" frei verwendet werden




Redefragment von Meinrad Schwörer / Wyhl
Kurzer Auszug aus einer Rede von Meinrad Schwörer / Wyhl bei der Besetzung des Bauplatzes in Marckolsheim (Elsaß) am 20. 9. 1974:

"Wiá hä-mr-s dänn? Kaa-mr ásoo schwätzä, wiá-mr doo schwätzt normaalerwiis? Ich mein graad, ebis brofidiárá-mr doch bi däm ganzá Griág, wu iiber uns goht.
Mr sähnä wider ámool, daß-mr zámmá ghäärá. Un mit nit anders bringä-mr des besser zuám Üsdruck wiá mit unserá eigená Sprooch, mit-erä Sprooch, wu sälli in Paris nit verschdehn, wu-si in Bonn nit verschdehn un wu sálli in Minchá au nit verschdehn, aber wu miir üs-em alemannischá Räum alli vrstehn!"





Die Wacht am Rhein
Das Lied hat Walter Mossman im Oktober 1974 geschrieben und während einer Sonntagskundgebung auf dem besetzten Platz gesungen. Währenddes­sen verteilten Freunde ein Flugblatt mit Text und Melodie, unterzeichnet mit: „Jos Fritz, 78 FR-Lehen, Bundschuhstr. 1525.“

Die Wacht am Rhein

1 Im Elsaß und in Baden
war lange große Not
da schossen wir für unsre Herrn
im Krieg einander tot.
Jetzt kämpfen wir für uns selber
in Wyhl und Marckolsheim
wir halten hier gemeinsam
eine andere Wacht am Rhein.
Auf welcher Seite stehst du?
He! Hier wird ein Platz besetzt.
Hier schützen wir uns vor dem Dreck
nicht morgen, sondern JETZT!

2 Herr Rosenthal hat einen Plan,
der uns gar nicht gefällt.
Dem Rosenthal ist das egal,
den interessiert nur Geld.
Uns aber interessieren
der Fluß, der Wald, das Feld
und unsere Gesundheit
kauft uns keiner ab für Geld.

3 Wer will den bleiverseuchten Wein
Blei-Milch, Blei-Hecht, Blei-Aal?
Wer ißt ein Rindersteak mit Blei?
Vielleicht Herr Rosenthal?
Aber nein, der hält sich sehr gesund
sauber und elegant
­Bloß seinen CWM-Mülleimer
stellt er in unser Land.

4 Zu Straßburg auf der Schanz
residiert der Herr Präfekt,
der hat bei der Chemie-Industrie
das große Geld geleckt.
Sicurani, Sicurani
du hast uns angeschmiert!
Aber paß bloß auf: das Elsaß
hast du nicht kolonialisiert.

5 Am zwanzigsten September
da wars schon höchste Zeit,
da machten wir uns auf dem Platz
von CWM schön breit.
Und als er uns behindert hat,
Sicurani, der Wicht,
da machten wir die Grenze
auf den Brücken schnell mal dicht.

6 Am Limberg über Sasbach
da wächst ein roter Wein.
Der schmeckt nicht schlecht, das ist uns recht
so soll's auch weiter sein.
Am Anfang waren drei erst wach
jetzt wacht der ganze Ort
die schieben mit Traktoren
jeden Rosenthal hier fort.

7 In Endingen ist die Rebumlegung
endlich geschafft,
aber nicht dafür, daß Rosenthal
seinen Bleistaub rüberpafft.
Drum hört den Apotheker,
der laut und deutlich spricht:
Es gibt für vieles Medizin,
doch für Bleivergiftung nicht.

8 In Weisweil im Gemeindehaus
da fing der Kampf mal an,
da wird nicht nur gebetet,
da wird auch was getan.
Und in die „Fischerinsel“
passen EINUNDZWANZIG rein,
da haben wir beschlossen:
KKW + BLEIWERK: NEIN!

9 Es schlafen einige sehr schlecht
in Wyhl, in Wyhl, der Stadt,
weil dort der Bürgermeister
uns glatt verschaukelt hat.
Jetzt sitzt er mit Pistole
in seinem Judas-Haus
und denkt: „Hätt ichs doch nicht getan,
bald ist es mit mir aus!“

10 In Mackenheim, in Mackenheim
da kommt es knüppeldick:
da steht ein großer Galgen
dran hängen sieben Strick.
Darunter steht betreten
der halbe Gemeinderat,
der schon in BAYERS Schlinge
den blöden Schädel tat.

11 Nach Riegel fahren viele
auf Arbeit übern Rhein,
die sagen: „Wenn das Bleiwerk kommt,
fall ich als erster rein.
Was nützt mir so ein Arbeitsplatz,
an dem ich bald verreck?
Herr Rosenthal, hau ab, du Sack,
geh weg mit deinem Dreck!»

12 Und kommt der Staatsanwalt
und kommt die blaue Polizei
und kommen sie im Morgengraun -
uns ist das einerlei.
Wir sind uns nämlich einig
und werden täglich mehr,
und wenn wir uns mal einig sind,
dann sind wir immer mehr!

13 ..Und wenn sie uns auch sagen,
die erste Bürgerpflicht
wär Ruh auf Treu und Glauben,
wir glauben ihnen nicht.
Der Glaube hatte nichts genützt
in Stolberg und Nordenham,
Wir haben nicht vergessen
DDT und CONTERGAN.

14 Im Elsaß und in Baden ... (s. o.)


Texterklärungen von Walter Mossmann:

1. Strophe: Erklärt die neue Bedeutung der alten Parole.

2.-4.: Breitet die gängige Argumentation gegen das Bleichemiewerk aus. „CWM-Mülleimer“: s. o. „Sicurani“: Der zuständige Präfekt, Korse, ehemaliger Kolonialbeamter in Polynesien. Für die Elsässer eine Provokation:

5.: Die wichtigsten und wirksamsten Aktionen, von uns selbst als „historisch“ verstanden: Besetzung und Grenzblockade.

6.-11.: Beschreiben den regionalen Zusammenhang der Bewegung. Zeigen, an welchen Orten schon was passiert, um andere zu ermun­tern. Sagen aber auch: was da und dort gemacht wird, ist wichtig, wichtig genug z. B. für ein Lied.

6.: Die Sasbacher Bevölkerung trug in Marckolsheim von badischer Seite die Hauptlast. Die Mobilisierung fand praktisch über Nacht statt, vorher kannten wir immer nur drei Leute, die zu den BI-Sit­zungen kamen.

7.: Rebumlegung: aufwändige Terrassierung der Weinberge. Der Sprecher der BI von Endingen, Apotheker Schött, war bei vielen Winzern anerkannt bis populär. War extra nach Nordenham gefah­ren, um dort die Auswirkungen des Bleiausstoßes zu studieren, hielt Vorträge in den Dörfern und verhandelte mit Behörden. (Später - dank den Bürgerinitiativen - FDP-MDL in Stuttgart.)

8.: Weisweil grenzt direkt an Wyhl, hier entstand 1973 die erste BI gegen das AKW Wyhl im evangelischen Gemeindehaus, und 1974 wurde die Föderation der damals 21 badisch-elsässischen Bürger­initiativen in Balthasar Ehrets Gasthaus „Fischerinsel“ gegründet.

9.: Der Wyhler Bürgermeister Zimmer hatte heimlich mit Behör­den und Badenwerk den Standort Wyhl ausgekungelt. Im Volks­mund nannte man sein neuerbautes Haus „Judaslohn“. Aus Angst vor einer Demonstration Juli '74 ließ er alle Läden runter, ließ Polizei Wache stehen und blieb mit einer Pistole im Dunkeln sitzen. (Sagte er jedenfalls später in der Kneipe.)

10.: Während der heißen Zeit in Marckolsheim handelte der Che­miekonzern BAYER im benachbarten Mackenheim (Elsaß) dem Gemeinderat ein großes Stück Wald für eine Fabrik ab. Die Ab­stimmung im Gemeinderat war knapp, 7:6 für BAYER. Darauf die Geschichte mit dem Galgen.

11.: In Riegel gab es anfangs noch keine feste BI. Aber der Ort war die Anlaufstelle für die elsässischen Pendelarbeiter, denen zuliebe angeblich CWM bauen wollte. Tatsächlich unterstützte die Organi­sation der Pendler praktisch und politisch unsere Besetzung.

12.-13.: Die gängige Argumentation für eine Besetzung. Stolberg und Nordenham waren wegen der Bleikatastrophen bekannt (am Kai­serstuhl bekannter als in Bremen), das Argument mit DDT kam von den Bauern, das mit Contergan von den Frauen.

Offenkundig, dass dieses Lied vollkommen an die aktuellen und regiona­len Besonderheiten des Kampfes in Wyhl und Marckolsheim gebunden ist. Außerhalb der Region konnte es nur mit umständlichen Erklärungen gesungen werden, als tönendes Dokument aus der Südwestecke


Walter Mossmann
S’BRUCKELIED
Kunnsch riiwer uff Marckolse, kunnsch iiwer d’Bruck,
mir süffe im Frendschaftshüss noch ä Schluck,
d’Büre, d’Fräuje, d’Schudente sin drbi,
mir schwätze un bsetze un genn nit in d’Knie!
Im letschte Johr bin i noch als Dürischt im Elsiss gsi
Bim Iseheimer Choucrout un bim Minschter-Wii,
ä Främde bin i gsi mit minere Schproch un minem Gäld,
wo Kilometer frisst un wo halt alti Kirchli zällt...
Hit isch’s verwandlet,
mir hän abandlet,
mir kämpfe mitenandr ums Läwe,
bim kämpfe hanmr glehrt,
dass s’Volk zämmeghert,
suscht verrecke do nit nur d’Räwe!

Kunnsch riiwer in’ Wyhlerwald, kunnsch iiwer d’Bruck,
mir süffe im Frendschafthüss noch ä Schluck,
d’Büre, d’Fräuje, d’Schudente sin drbi,
mir schwätze un bsetze un genn nit in d’Knie!
Im letschte Jphr hesch dü noch dänkt, d’Schwowe wäre lätz,
die käme mit Kanone uff Schtroßburj un uff Metz,
«D’Schwowe bliibe Schwowe» – «Sieg Heil!» un «Guet Nacht» ...
«d’Schwowe sin üs Uniform un Iiseschtiefel gmacht»
Hit isch’s verwandlet ...

Kumm riiwer, gang niiwer, des isch bloß ä Bruck,
d’gränzer bikumme üs’m Rhin ä Schluck,
un sin die vu dere Giftbreje grien im Gsicht,
verzelle mir däne ä ganz alti Gschicht:
Es het ämol ä Zitt gä, wo mir blin gsi sin,
es het ämol ä Zitt gä, wo mir däub gsi sin,
es het ämol ä Zitt gä, wo mir schtumm gsi sin,
es het ämol ä Zitt gä, wo mir Knecht gsi sin –
Hit isch’s verwandlet ...


Mehr Infos:
Regionale Umweltgeschichte
vom Badischen Waldgesetz bis über den Wyhler Wald hinaus - eine Zusammenfassung

Historische und aktuelle Umweltplakate im Dreyeckland
Eine nach Themen sortierte Übersicht von Umweltplakaten

Kein Atomkraftwerk im Wyhler Wald
Chronik des Widerstandes



"Die Wahrheit", Warnungen & Hinweise:






Kein KKW in Wyhl
Ein Rückblick von Axel Mayer

Nach Wyhl
Nach Wyhl und Marckolsheim: Veränderung in Sachen Atompropaganda, Akzeptanzforschung und Greenwash

Links: Protest & Bauplatzbesetzungen in Wyhl, Kaiseraugust, Marckolsheim, Gerstheim, Buggingen...