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Umweltskandal am Oberrhein! Salz im Grundwasser



Nachdruck aus dem Staatsanzeiger:
Der bittere Geschmack des Salzes
von Karl-Otto Sattler


In seinem Freiburger Büro erinnert sich Axel Mayer genau. Es war im Herbst 1997: „Seinerzeit machten wir erstmals auf die Gefahr der massiven Versalzung des Grundwassers am Oberrhein öffentlich aufmerksam.” Eines weiß Mayer - er führt die Geschäfte bei der Regionalorganisation des Bundes für Umwelt und Naturschutz - auch noch: „Resonanz auf unseren Vorstoß gab es in der offiziellen Politik damals nicht”. Inzwischen hat sich das geändert. Südbadens Regierungspräsident Sven von Ungern-Sternberg und der elsässische Präsident Adrien Zeller zeigen sich tief besorgt, als jetzt eine 900 000 Euro teure deutsch-französische Studie über die Bedrohung der Trinkwassergewinnung am Rheinufer im Umfeld des Kaiserstuhls und nebenan im Elsass veröffentlicht wurde. Und mehrere CDU-Landtagsabgeordnete fordern bei Umweltminister Ulrich Müller (CDU) eine „genaue Auskunft”.

Die enorme Grundwasserversalzung am Oberrhein ist eine Spätfolge des jahrzehntelang vor allem im Südelsass, aber auch im Markgräflerland in großem Stil betriebenen Kaliabbaus. Zwischen dem französischen Fessenheim sowie den deutschen Orten Buggingen, Heitersheim und Breisach hat das Grundwasser in 100 bis 200 Meter Tiefe mancherorts einen Salzgehalt erreicht, der fast so hoch ist wie derjenige des Meeres: bis zu 20 Gramm je Liter. Der belastete Streifen zieht sich in einer Breite von bis zu zwei Kilometern den Rhein entlang. Nach einer EU-Verordnung darf Trinkwasser nicht mehr als 0,25 Gramm pro Liter enthalten.

Die riesige Salzlauge im Untergrund wandert mit den Grundwasserströmen langsam Richtung Norden und schiebt sich selbst in obere Erdschichten vor - mit zusehends stärkeren, wenn auch noch geringeren Konzentrationen als im Untergrund. Die Stadt Breisach kann einen Brunnen bereits nicht mehr benutzen. Und das Stuttgarter Umweltministerium rechnet langfristig mit einer Gefährdung des Grundwassers sogar in Sasbach nördlich des Kaiserstuhls.

Die Geschichte des im Markgräflerland vor Jahrzehnten und im Kalibecken nördlich der südelsässischen Stadt Mülhausen 2002 eingestellten Kalibergbaus begann Anfang des vorigen Jahrhunderts. Diese industrielle Epoche mit ihren unverwechselbaren Fördertürmen über den Minen ist vorbei, die Vorkommen sind erschöpft. Bei der Produktion von Kali als Düngemittel fielen ungeheure Mengen an Steinsalz an: Dieses Natriumchlorid wurde zu riesigen Abraumhalden, den „Kalimandscharos”, aufgeschüttet oder bei Fessenheim in den Rhein geleitet. Jährlich mehrere Millionen Tonnen Salz belasteten den Fluss so stark, dass dies in Holland bei der Trinkwasserversorgung und bei der Bewässerung von Gewächshäusern große Probleme hervorrief. Die Stadt Amsterdam führte spektakuläre Prozesse gegen die französische Minengesellschaft mit Erfolg: Das elsässische Unternehmen musste mehrere Millionen Euro als Schadensersatz in die Niederlande überweisen.

Die oberirdischen Hinterlassenschaften dieser Ära bei Buggingen und besonders links des Rheins bei den Orten Pulversheim und Wittelsheim entfalten durchaus einen gewissen Reiz. In den „Kalimandscharos” sieht Axel Mayer „grandiose, landschaftlich faszinierende Erosionslandschaften”. Freilich bestehen diese Hügel zum großen Teil nun mal aus Steinsalz, das vom Regen in die Erde und damit ins Grundwasser ausgewaschen wird. Und so spricht denn der Geschäftsführer des Umweltverbands von einer „makabren Ästhetik”.

Am schlimmsten betroffen ist das Elsass selbst, wo im Kalibecken bei Mülhausen im Laufe der Zeit Millionen von Tonnen Natriumchlorid in den Boden versickerten. Die unterirdische Salzfahne zieht immer weiter nach Norden und ist inzwischen in der Region von Colmar und Schlettstadt angelangt. In vielen Brunnen ist das Grundwasser so versalzen, dass es nicht mehr als Trinkwasser geeignet ist. Gemeinden müssen das kostbare Nass mischen oder sauberes Wasser ganz von anderen Quellen heranholen, damit der EU-Grenzwert nicht überschritten wird. Entsalzt wird das Grundwasser wegen der hohen Kosten nur selten.

Aber auch Kommunen im Markgräflerland und am Kaiserstuhl haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Aus den alten Abraumhalden bei Buggingen schwemmt der Regen, wie Mayer betont, jährlich immer noch einige tausend Tonnen Salz aus. Zudem leiden die Badener heute unter einer weiteren verhängnisvollen Praxis der französischen Minengesellschaft in der Vergangenheit: Von den fünfziger Jahren bis 1976 lagerte das Unternehmen auf einer Rheininsel bei Fessenheim in einem Absetzbecken hochkonzentrierte Chloridlaugen, bevor das Salz in den Strom geleitet wurde. Entgegen den Versicherungen der Firma war der Boden dieser Becken keineswegs wirkungsvoll abgedichtet, so dass in jener Zeit Hunderttausende Tonnen von Natriumchlorid in der Erde verschwanden, wegen der unterirdischen Gesteinsformationen nach Osten flossen und sich dort im Grundwasser anreicherten.

Das erste Opfer dieses Umweltskandals ist Breisach. 500 000 Euro hatte die Kleinstadt vor Jahren in einen 100 Meter tiefen Brunnen investiert, aber das in dieser Schicht gewonnene Wasser ist wegen des hohen Salzgehalts nun nicht mehr genießbar. Breisach muss auf unbelastete Quellen ausweichen. Doch was wird, wenn sich die Chloridblase zunehmend auch in oberflächennähere Wasservorkommen schiebt? Jürgen Scheidung, Bürgermeister von Sasbach am nördlichen Kaiserstuhl, erfuhr im Freiburger Regierungspräsidium immerhin, dass der Tiefbrunnen seiner Gemeinde noch nicht akut gefährdet ist und sich eine Bedrohung erst längerfristig am Horizont abzeichnet.

Südbadens Regierungspräsident Sven von Ungern-Sternberg und Adrien Zeller als Präsident des elässischen Regionalrats wollen sich gemeinsam um das Grundwasserproblem kümmern. Das Gefahrenpotenzial müsse genau ermittelt werden, stellt das baden-württembergische Umweltministerium fest. Die CDU-Landtagsabgeordneten Klaus Schüle (Freiburg) und Gundolf Fleischer (Breisgau-Hochschwarzwald) verlangen in einem Antrag an die Regierung, die Möglichkeiten einer Sanierung des Grundwassers am Oberrhein zu prüfen.

Axel Mayer vom Bund für Umwelt und Naturschutz hingegen meint nüchtern: „Das Grundwasser lässt sich nicht sanieren.” Betroffenen Gemeinden bleibe nichts anderes übrig, als auf andere Brunnen auszuweichen oder unbelastetes Wasser mit salzhaltigem zu mischen. Mayer, einer der besten Kenner der Umweltszene am Oberrhein, fordert deshalb, nach dem Verursacherprinzip vorzugehen. Das hieße, die elsässische Minengesellschaft und im Falle des südbadischen Buggingen die in Norddeutschland ansässige Kali Salz AG als verantwortliche Unternehmen zur Finanzierung der Kosten heranzuziehen. Die ökologischen Folgekosten seien nicht auf die Allgemeinheit abzuwälzen: „Umweltschutz darf nicht nur auf dem Rücken der Kleinen praktiziert werden”.

Die Gemeinschaftsstudie elsässischer Behörden und des Regierungspräsidiums Freiburg über die Grundwasserversalzung, die mit Unterstützung der EU finanziert wurde, findet der Umweltpolitiker „hervorragend gelungen”. Aber warum, fragt Mayer, „mussten die Steuerzahler die 900 000 Euro aufbringen, warum nicht die beiden Firmen, die das Grundwasser versalzen haben?”.

Eine Strafanzeige des Umweltverbands gegen die elsässische Grubengesellschaft wegen Gewässerverschmutzung wurde von der französischen Justiz unter anderem mit dem Argument zurückgewiesen, die Öko-Organisation sei selbst von keinem Schaden betroffen. In Breisach, sagt Mayer, sehe das wegen des nicht mehr nutzbaren Tiefbrunnens heute aber anders aus. Deshalb würde es der Umweltpolitiker begrüßen, wenn sich die Stadt zu einer Klage entschlösse - die Stadt Amsterdam habe ja auch Erfolg gehabt.

Die auf deutscher Seite ebenfalls wegen Gewässerverschmutzung gegen die Kali Salz AG eingereichte Strafanzeige ist noch anhängig. Immerhin, da ist Mayer schon ein wenig stolz, hat dieser Schritt „die größte Durchsuchungsaktion in der Geschichte des Freiburger Wirtschaftskontrolldienstes ausgelöst” - nämlich bei dieser Firma in Norddeutschland. Mayer: „Wir sind gespannt, wie dieses Verfahren ausgehen wird.”







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Dieser Artikel wurde 7962 mal gelesen und am 12.1.2022 zuletzt geändert.